Es gab in Bobingen mehrere Lager für die in den beiden Fabriken beschäftigten ausländischen Arbeitskräfte.
Dank des Archivars der Stadt Bobingen, Herrn Wolfgang Bobinger und des Kollegiaten Andreas Baiter verfügen wir über eine komplette Aufstellung der Lager in Bobingen. In der Aufstellung fehlt lediglich das sog. „Waldlager“, in dem die „Ostarbeiter“ untergebracht waren.
QQ: Stadtarchiv Bobingen, Lager bzw. Behelfsheime im Stadtgebiet Bobingen und Straßberg, Akte 6.4.51
Lager 1: Lager an der Lindauerstr. 66 = Hartling-Lager (im Bereich des heutigen Königreichssaal der Zeugen Jehovas). Im Juni 40 wurden erste Pläne gemacht, das Lager um 420 Plätze zu erweitern. 1941 zogen die Arbeiter, die bisher im Holzlager (roter Pfeil) wohnten, ins IG Lager Bobingen in die unmittelbare Nähe des Hartling-Lagers. Auch männliche Ostarbeiter kamen später, wohl ab der zweiten Hälfte des Jahres 1943 in dieses Lager. Im Sommer 1941 hatte die Montan dem Verkauf von 3 Baracken aus dem Holzlager an die IG Farben zugestimmt. Mit den Baracken zogen auch die Bewohner mit in das Lager Hartling in der Lindauerstr. 66[1]. Im „neuen“ Lager gab es eine Baracke für Franzosen und Belgier, eine Baracke für Tschechen und Slowaken, es soll auch eine Baracke für polnische Familien gegeben haben.
Das neu errichtete IG-Lager wurde in der Werkszeitung vom April 1943 vorgestellt und propagandistisch überhöht. Der Lagerleiter berichtete über die vorbildlichen Einrichtungen im Lager, über Waschräume mit heißem und kaltem Wasser, Brausen, Bäder und Trockenräumen, über Kaffeeküche und Kochküche. Auch über die von Franzosen und Tschechen (aus dem Protektorat) organisierte Freizeitgestaltung und über 3 Eheschließungen von Ostarbeitern wurde berichtet, über Rundfunkgeräte und Spiele, um den „Werktätigen ein gutes Stück der heimatlichen Bequemlichkeit zu vermitteln. Jedem sein eigenes Bett, Spind, Wäsche und Geschirr“[2].
Es muss definitiv zurückgewiesen werden, dass sich die Ostarbeiter an solch luxuriöser Unterbringung erfreuen konnten. Tatsache ist, dass der für die Lager verantwortliche Sozialreferent von der amerikanischen Besatzungsmacht eingesperrt und verurteilt wurde[3]. Auch die Flucht mehrerer Westarbeiter sprechen gegen die „luxuriöse“ Unterbringung der Zwangsarbeiter[4]. Aus der IG Farben wurden des Öfteren sogenannte „Arbeitsvertragsbrüche“ sowie flüchtige Zwangsarbeiter gemeldet[5]. Der Lagerleiter und Sozialreferent Beier hätte ansonsten nach der Befreiung der Zwangsarbeiter nach dem Krieg mit Sicherheit nicht flüchten müssen, um ihrer Rache für die schlechte Behandlung zu entgehen[6].
Lager 2: Wohnbaracken am Industriegleis Ecke Max-Fischer- Straße/Forststraße (heute abgetragen).
Ob das Lager für die Unterbringung von Zwangsarbeitern diente, ist nicht bekannt[7].
Lager 3: „Bahnhofslager“ am Bahnhofsvorplatz: Dort waren seit 1941 die befreundeten Italiener, später Tschechen aus dem Protektorat und wohl auch die Polen untergebracht[8].
Lager 4 auf dem Gelände der Ziegelei[9]: In diesem „Lager“ waren vor allem ukrainisch-polnische Familien untergebracht, die für die Bahnhofsmeisterei Bobingen arbeiten mussten. 32 Personen sind dort namentlich nachweisbar[10].
Lager 5: Straßberger Lager bzw. Wiesenlager: Es galt als das älteste Lager. Hier waren 4 Wohnbaracken für 154 Personen aufgestellt, die Straßberger Turnhalle diente als Aufenthaltsraum. Die Werkscharführer sorgten für die Innenausstattung: Betten, Tische, Schränke. Sie wurden anfangs von Kroaten errichtet, welche Fasan I und II errichten sollten. Später wohnten dort Deutsche aus der Bukowina. Nach Abzug im Winter 1941/42 zogen dort ausländische ArbeiterInnen des IG Farbenwerkes, vielleicht einige Arbeiter der Verwertchemie dort ein[11].
Lager am Leitenberg nach dem II. Weltkrieg (Stadtarchiv Bobingen)
Lager 6: Wertachlager: Das Lager befand sich im Besitz der Montan. Nichtsowjetische Arbeiter bei der Sprengstofffabrik und Kunstseidefabrik waren dort untergebracht, also Franzosen, Italiener, Slowaken, wahrscheinlich auch Tschechen aus dem Protektorat[12].
Das Wertachlager (Ecke Waldstraße/Straßbergerstraße) nach dem II. Weltkrieg. Im Vordergrund Liselotte (geb. Eisele) und Engelberg Tögel (Bildarchiv Georg Fritz)
QQ: Arolsen Archives
Lager 7: Das Holzlager am Hinteren Leitenberg (roter Pfeil)
QQ: Stadtarchiv Bobingen: Holzlager Lageplan mit Baracken, 15.12.1939
Im Herbst 1939 erwarb die DAG dort 3 ha Land, um weitere Bereitschaftslager für die Bauarbeiter von Fasan II zu errichten. Das Steinlager kam nicht zur Ausführung, es existieren lediglich die Schächte und das Kanalisationssystem. Allerdings wurden von der Firma Weindl und Hopf, Spezialisten im Barackenbau 13 Holzbaracken am Hinteren Leitenberg errichtet. 1390 Personen sollten darin Platz finden. Die Planung lief seit dem 15.12.1939. Die Baracken wurden nach dem Protektoratstyp (P) und dem RAD-Typ Volan, Ingolstadt (V) errichtet. Geplant waren 7 Baracken für je 124 Personen und 6 Baracken für je 87 Personen. Die Baracken sollten nach berühmten Deutschen benannt werden wie z.B. Goethe, Bismarck, Zeppelin, Richthofen, Horst Wessel, Schiller und Moltke usw.[13]
Im Holzlager sollten ebenso eine Verwaltungsbaracke, Abortbaracken, Waschbaracken und Kohlebaracken errichtet werden. Insgesamt erinnert der geplante Bau stark an eine nationalsozialistische „Mustersiedlung“ für ausländische Arbeitskräfte.
Untergebracht waren im Holzlager (das nie gänzlich belegt war), ab Frühjahr 1940 Bauarbeiter, die Fasan II errichten sollten. Nach dem Baustopp von Fasan II 1940 wurde die Belegung stark reduziert[14]. Fasan II diente ab Juni 1940 nur noch der Lagerung von Hexogen, nicht mehr der Produktion[15].
Noch im Juli 1941 waren die Baracken hauptsächlich mit IG Angehörigen der Kunstseidefabrik belegt, unter anderem auch mit polnischen Arbeitskräften[16]. Nach dem Verkauf von 3 Baracken an die IG Farben 1941 wurde das Lager bald geleert. Bei Kriegsende existierte das Holzlager nicht mehr[17].
Lager 8: Das Waldlager. Dieses galt als sog. „Russenlager“. Nach Zeugenaussagen (siehe unten) war es mit Stacheldraht umzäunt, sowohl die ukrainischen und russischen Frauen wie Männer wurden unter Bewachung tagtäglich zur Firma geführt und wieder zurück und mussten auch ihre Freizeit in diesem Lager verbringen. Der Werkschutz schlief im Lagerbereich.
QQ: Bildarchiv Georg Fritz
Lager 9: diverse Lager auf dem Fabrikgelände[18], vor allem auf dem Gelände von Fasan II, z.B. im ehemaligen Baubüro der DAG soll sich ein Frauenlager für die tschechischen Frauen befunden haben, die ab Sommer 1941 bis Kriegsende dort arbeiteten.
QQ: Karte, erstellt von Georg Fritz
Das untenstehende Dokument vom 1. Juni 1942 aus dem Bobinger Stadtarchiv listet den Stand der IG Barackenlager in Bobingen auf und gibt einen Überblick über den Belegschaftsstand zu diesem Zeitpunkt.
QQ: Stadtarchiv Bobingen. Das Dokument belegt den Umzug in die Lindauerstraße und die Stärke der Barackenlager im Juni 1940.
Gemäß der Aufstellung vom 1.6.1942 (s.o.) setzte sich die Belegschaft der IG Bobingen wie folgt zusammen:
1216 Gefolgschaftsmitglieder
Hiervon zur Wehrmacht eingezogen: 74
als Ersatz an Ausländern eingestellt: 121 Männer und 91 Frauen, insgesamt also 169 Personen.
Hiervon waren in 3 Lagern untergebracht, die teilweise auch von deutschen Firmen zur Unterbringung ihrer Monteure mitbenutzt waren:
a) Waldlager Straßberg (4 Baracken): 13 Männer, 91 Frauen, insgesamt 103 Personen (Kapazität 154 Personen)
b) Lager Hartling (3 Baracken) : 66 ausländische Arbeiter (und deutsche Monteure) (Kapazität 186 Personen.
An Kapazitäten standen insgesamt zur Verfügung: 340 Betten
Vorgesehen war ein neues IG Lager mit 420 Betten, das in unmittelbarer Nähe des Lagers Hartling errichtet werden sollte[19].
Die Werkszeitung der IG Bobingen vom April 1943 berichtet vom „Leben und Wohnen im I.G. Lager Bobingen. Hier ist von 3 Lagern die Rede, die auch in der Werkszeitung abgebildet sind (Bilder liegen uns nicht vor)[20]:
1. Das Männerlager Lindauerstraße für 420 Personen
2. Das Frauen-Waldlager
3. Das Ostarbeiterlager (noch Straßberg).
Gemäß den Aufstellungen muss davon ausgegangen werden, dass das Lindauerlager (Lager Hartling) um 3 weitere Baracken (vom Holzlager) ergänzt worden ist, um auf den Sollstand von 420 Personen zu gelangen. Nach 1943 müssten dort 6 Baracken gestanden haben.
Die Kosten für das Wiesenlager Straßberg DAG, das Waldlager und das Wertachlager wurden in dem Gutachten von 1949 mit 811.647, 31 RM angesetzt[21].
[1] Ebenda, S. 30f.
[2] Stadtarchiv Bobingen, Werkszeitung April 1943. Die propagandistische Darstellung bezog sich „Leben und Wohnen im IG-Lager Bobingen. Des konnte sich nur auf das neuerrichtete IG- Lager an der Lindauerstraße 66 in unmittelbarer Nähe des Hartlinglagers beziehen.
[3] Monika Hermann, a.a.O., S. 93
[4] Monika Hermann, a.a.O., S.92ff
[5] Zitiert nach: Monika Hermann, a.a.O., S. 92 Anm. 111: „Bei den Farbwerken Bobingen … gingen freie ausländische Arbeitskräfte flüchtig und konnten nicht mehr ergriffen werden. BayHStA München, MA 106684
[6] Monika Hermann, a.a.O., S. 84
[7] Auskunft Georg Fritz vom 14.3.2022
[8] Siehe Text oben unter Bahnmeisterei.
[9] In den Unterlagen im Stadtarchiv und in Arolsen Archives heißt es Unterbringung im Miehle-Gebäude. Gemeint war wohl auf dem Gelände der Ziegelei, wenig wahrscheinlich ist eine Unterbringung im Herrenhaus. So auch Georg Fritz, Auskunft vom 14.3.22
[10] Siehe Text oben.
[11] Monika Hermann, a.a.O., S. 81f
[12] Monika Hermann, a.a.O., S.81ff, Belege aus Arolsen Archives.
[13] Stadtarchiv Bobingen, Brief der DAG Lagerleitung an das Bürgermeisteramt Bobingen, 4.9.1940.
[14] Monika Hermann, a.a.O., S.30
[15] Ebenda, S. 32ff
[16] Es könnte sich um die uns namentlich bekannten 39 Polen und Polinnen handeln, die bei der Kunstseide arbeiten mussten.
[17] Monika Hermann, a.a.O., S. 30f
[18] Monika Hermann, a.a.O., S. 81ff
[19] Vgl. Stadtarchiv Bobingen, Barackenlager der IG Bobingen vom 1.6.1942 und Monika Hermann, a.a.O., S.30f
[20] Stadtarchiv Bobingen, Werkszeitung vom April 1943: Leben und Wohnen im I.G. Lager Bobingen
[21] Robens Hans, Gutachten über das Werk Bobingen der Montanindustriebetriebe GmbH, Siegburg 1949, zitiert bei Monika Hermann, a.a.O., S. 34f