Inhalt des Artikels
Arbeitseinsatz in Augsburg bei MAN, in Bobingen bei der Dynamit AG, Häftling im KZ Dachau Häftl.nr. 480080, Buchenwald Häftlnr. 49374, Natzweiler Häftl.nr. 29374, KZ-Außenlager Allach, Häftl.nr. 158117
Besuch von Alexander Bojko 2007 in Yahotyn.
Herr Bojko wohnt in Yahotyn bei seiner Tochter Nadja gemeinsam mit deren Ehemann und den zwei Töchtern in einer schlichten Wohnung im 5. Stock ohne Aufzug. Typische Plattenbauweise, aber immerhin mit Balkon und schöner Sicht auf einen See.
Es wird sofort sichtbar, dass Herr Bojko trotz seines fortgeschrittenen Alters der Chef der Familie ist. Er dirigiert seine Tochter, den Schwiegersohn samt den Enkelkindern herum. Dann fragt er mich spaßeshalber, weshalb ich nicht mit deutschen Zeitungen spräche, dann würde ich mir den weiten Weg in die Ukraine sparen.
Aber dann legt er gleich los. Wenn ich wolle, könne er stundenlang über seinen Zwangsaufenthalt in Deutschland sprechen, er erinnere sich an alles noch sehr genau. Zuerst zeigt er mir seine Dokumente, die ihn als Verfolgten des Naziregimes ausweisen. Seine Häftlingsnummer in Dachau: 48080, in Buchenwald 49374 (vom 3.5.1944 bis 7.3.1945), dann als Häftling Nummer 29374 im KZ Natzweiler, ehe er am 13.April 1945 wieder ins KZ Dachau ins Außenlager Allach als Häftlng Nr. 158117 kommt und von dort aus von der US-Armee am 29. April befreit wird.
Deportation aus der Ukraine – Arbeit bei MAN
Seine Deportation aus der Ukraine findet im November 1942 statt. Am 18. November kommt er in das Verteilungslager, von dort nach Augsburg. Fast alle Männer kommen in der Rüstungsindustrie zum Einsatz. Er arbeitet bei MAN, das Lager ist ca. 1 km entfernt, zur Arbeit werden sie gefahren. Er kann sich daran erinnern, dass auch Kriegsgefangene bei MAN arbeiten, die aber schärfer bewacht werden.
Weil Alexander – er war gerade mal 18 Jahre – über keine Fachausbildung verfügt, wird er für die niederen Arbeiten eingeteilt. Er soll den Arbeitsplatz sauber machen, später bohrt er irgendwelche Teile, wofür keine besonderen Kenntnisse erforderlich sind.
Zwangsarbeit bei der Sprengstofffabrik Fasan (Dynamit AG Bobingen)
Von MAN kommt er Ende März 1943 mit 10-12 weiteren Personen, darunter Olexandr Natotschij, den er erst hier kennen lernt, nach Bobingen zu einem Dynamitwerk. Offensichtlich arbeitet er in der Sprengstofffabrik Fasan, die ab Ende 1938 unter der Leitung der Münchener Baufirma Muy und Pitroff südwestlich des Stadtgebietes von Bobingen am rechten Ufer der Wertach errichtet und 1939 mit einem zweiten Werk westlich der Wertach erweitert wird. Alexander arbeitet rund um die Fabrik, er muss Gräben ausheben, während sein Kollege Natotschji aus Jahotyn als Schlosser eingeteilt ist und über Fachkenntnisse verfügt.
Versuchte Flucht und Gefangennahme
Natotschij bringt ihn, wie er heute sagt, auf die dumme Idee zu „türmen“. Mit einem Sonderausweis gehen die beiden in die Stadt, Natotschij will auf dem Arbeitsamt, wie er sagt eine einfachere und leichtere Arbeit zugewiesen bekommen. Natotschij ist immerhin vier Jahre älter als er, also macht er mit und sie gehen zu Fuß Am 25. Mai 1943 nach Augsburg, besuchen zuerst ihre Landsleute im Lager in der Schönbachstraße, das sie bereits von ihrem ersten Arbeitseinsatz kennen, dann marschieren sie durch die Felder nach Norden. Ein Feldarbeiter wird stutzig, als er sie mit dem Ostarbeiterzeichen sieht. Er bringt sie ins Dorf, ruft die Polizei an, die sie aufs Präsidium bringt.
Dort geben sie brav an, dass sie aus Bobingen kommen. Die Fabrikleitung wird informiert, aber der Fabrikleiter will sie nicht mehr in Bobingen, daher werden sie zuerst einmal für einige Tage eingesperrt. Dann werden sie nach Nürnberg verlegt und es gibt einen Gerichtsprozess.
Arbeit im KZ Außenlager Allach
Nach einem Quarantäneaufenthalt landen sie schließlich am 27.Mai 1943 im KZ-Außenlager Allach (Begründung Arbeitsflucht) und sollen dort in der Rüstungsindustrie bei BMW arbeiten (Häftling 48080). Ab jetzt müssen sie Häftlingsuniform tragen. Wiederum wird Herr Bojko einer anderen Arbeitsstelle zugewiesen wie sein Landsmann, er muss im Freien arbeiten. Es soll ein weiteres Fabrikgebäude erstellt werden. Er hebt Gräben aus. Da die Wächter ziemlich desinteressiert sind, ist ihre Arbeit nicht allzu schwer. Aber es ist Winter, und die Kleidung sehr dünn, sie frieren bei 12 Stunden Arbeit im Freien.
Im KZ Buchenwald
Am 2. Mai 1944 wird Alexander Bojko ins KZ Buchenwald überstellt (Häftlingsnr.49374), währenddessen Alexander Natotschij als Facharbeiter bei BMW in Allach bleibt. Alexander, noch heute ein Witzbold, setzt im KZ Buchenwald einem Meister die Essensschüssel auf den Kopf. Hierfür erhält er 25 Schläge mit der Peitsche, unmittelbar darauf muss er gleich wieder weiter arbeiten. Die Hand schwillt an, er kommt ins Lazarett und erhält Spritzen. Alexander erinnert sich, dass Vergehen immer sehr streng bestraft wurden, jeden Tag waren Strafen an der Tagesordnung.
Alexanders Aufgabe in Buchenwald besteht u.a. darin, nach zwei Bombardierungen des Lagers die Bomben zu entschärfen. Wegen der Bombardierungen verlegen die Nazis ihre Waffenproduktion in Stollen. Er kommt in die KZ Außenstelle Eisenach und arbeitet dort in einer unterirdischen Abteilung, wo sie auch untergebracht waren (vielleicht Nordhausen-Dora?). Die Meister tragen ein Abzeichen, Alexander meint, es sei BMW IV gewesen. Nur einmal pro Woche kommen sie an die frische Luft, alle Arbeitsstellen sind unter der Erde. Er erinnert sich, dass es fast jede Nacht Luftangriffe gab und sie kaum schlafen konnten.
Alexander arbeitet als Helfer im Magazin, händigt Werkzeuge an die Arbeiter aus. Gleichzeitig packt er Teile in Kisten, die wie Schildkröten aussahen, aber er kann nicht sagen, welche Funktion diese Teile hatten. Mit der Behandlung beim Kommando Eisenach war er recht zufrieden, der Meister behandelt ihn fair.
KZ Natzweiler und Todesmarsch ins Würmtal
Am 1. März 1945 wird Bojko in ein Außenlager des KZ Natzweiler gebracht (Kommando Dautmergen), am 13. April 1945 wieder nach Dachau. Als die Amerikaner immer näher rücken, werden die Zwangsarbeiter von Dachau, den Außenlagern Kaufering und Allach in Richtung Süden getrieben. Alexander ist auf dem Todesmarsch ins Würmtal unterwegs. Sie schlafen wieder im Freien, die Kälte ist auch heute noch Alexanders größter Feind, er verträgt sie nicht.
Niemand bietet ihnen Essen an, sie fangen Frösche und sammeln Kräuter und ernähren sich davon. Alle Gefangenen sind sehr ausgehungert. Als ein Wachmann seinem Kollegen Brot bringt, wollen einige Italiener am Brot teilhaben. Der Wachmann erschießt den angreifenden Italiener, die bei den Deutschen wegen des Waffenstillstandes von Badoglio mit den Alliierten besonders verhasst waren.
Alexander schätzt, dass mit ihm noch 200-300 Gefangene mit ihm unterwegs waren. Er ist so schwach, dass er sich kaum noch auf den Beinen halten kann. Aber sein Überlebensinstinkt befiehlt ihm, sich nicht am Ende des Zuges aufzuhalten, wo die Schwächsten einfach erschossen werden. Unterwegs erhält er einmal von einem Bauern eine gekochte Kartoffel und eine Handvoll Weizenkörner. Die schlingt er hinunter, aber danach wird es ihm erst recht übel und er kann sich kaum noch aufrecht halten. Alexander wiegt weniger als 40 kg.
Kriegsende und Rückkehr in die Heimat
Am 29. April ist auch für ihn der Krieg zu Ende, seine Haut ist ganz schwarz und löst sich in Schichten vom Körper ab. Er erinnert sich, dass ihm Tschechen Brot und 5 Schüsseln Suppe zu essen gaben, aber das hätte er fast nicht überlebt. Sein Darm beginnt zu bluten, er kommt für 14 Tage ins Lazarett.
Nach einigen Wochen wird er gemeinsam mit seinen Landsleuten nach Leipzig an die Sowjets überstellt. Es ist davon die Rede, dass sie im russisch-Japanischen Krieg zum Einsatz kommen sollen. Glücklicherweise kommt es nicht mehr zu diesem Krieg, er bleibt bis Anfang 1946 in Leipzig, dann wird er zurückgeführt bis in die Nähe von Kiew, aber er darf nicht nach Hause, sondern wird verlegt nach Charkow an die Militärschule. Seinen Leidensweg in Deutschland verschweigt er. Auch seine Mutter wird vom KGB befragt.
Mittlerweile gibt es von Stalin einen Befehl, der es untersagt, dass ehemalige Kriegsgefangene eine Militärausbildung machen dürfen. Also wird er aus der Militärschule entlassen und Alexander erhält einen Jahresausweis, der ihn berechtigt, in Kiew zu arbeiten. Dort wird er bei der Produktion von Musikinstrumenten eingesetzt.
Heirat und Familiengründung
1949 heiratet Alexander Valentina, aber die Ehe hat nicht lange Bestand. Valentina mag es nicht, dass er oft nächtelang mit dem Akkordeon sein Geld verdient. 1961 geht er eine zweite Ehe mit Hanna ein, mit ihr hat er zwei Töchter, Olga und Nadja.
Alexander Bojko ist noch im Jahr 2007 ein dem Leben zugewandter Mann, er sprüht von Energie, manchmal ist er auch sarkastisch. Ich kann sehr gut verstehen, dass er seine Erniedrigung durch die nationalsozialistischen Schergen nicht vergessen hat. So sieht er meinen Besuch als späten, wenn nicht zu späten Versuch der Wiedergutmachung an. Die Familie Bojko zeigen Größe, sie tischen ihren Gästen (Lubov, den beiden Fahrern, einer davon ist der Sohn von Fedir Schawritzkij und mir) wahrhaftig ein Festmahl auf und bei Wodka werden Trinksprüche auf die Freundschaft ausgesprochen und der Wunsch, dass sich ein solcher Rückfall in die Barbarei nie mehr ereignen möge.
Quellen:
Interview mit Alexander Bojko am 5.8.2007
ITS Bad Arolsen, 15.6.1999: Alexander Bojko
Dokumente zu Alexander Bojko aus Arolsen Archives, 01010503 001.046.024 ; https://collections.arolsen-archives.org/de/document/5572253
Arolsen Archives, Signatur 01010503 001.046.024
Es ist bereits Nachmittag, als wir Alexander besuchen, die Sonne steht hoch am Horizont, es ist glühend heiß, Alexander sitzt auf seiner winzigen Terrasse vor seinem Häuschen mitten an der Hauptstrasse in Jahotyn. Er hat uns schon erwartet, aber eine Konversation mit ihm kommt nicht zustande, er ist extrem schwerhörig. Alle Fragen, die wir stellen, missversteht er, ein Hörgerät hat er nicht, er wurde nicht als Invalide der Stufe I eintaxiert, daher bekommt er von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ auch kein Hörgerät finanziert. Welche Logik! Ich dachte, die Stiftung sei dazu da, den Opfern zu helfen.
Alexander war, nachdem er von Bobingen gemeinsam mit seinem Kollegen Alexander Bojko geflohen war: im KZ Dachau und im KZ-Außenlager in Allach, wo er als Facharbeiter bis Kriegsende arbeiten muss. Das einzige, was wir von ihm erfahren, ist seine Häftlingsnummer in Dachau: 48078. Es ist bezeichnend, dass alle Opfer ihre Häftlingsnummer so genau wissen, denn das war der Verlust an Identität und Würde, eine Demütigung für die Gefangenen schlechthin.
Wir fragen, ob nicht die Ehefrau Valentina die Fragen beantworten kann, schließlich sind die beiden ja seit Jahrzehnten miteinander verheiratet. Die Babuschka kommt, sie nur einige wenige Zähne im Mund, wie Alexander übrigens auch. Die ärztliche Versorgung der Rentner in der Ukraine ist wirklich katastrophal.
Wir stellen Fragen, aber die Ehefrau hört noch schlechter als Alexander. Das führt zu grotesken Situationen, denn die beiden alten Leute verstehen unsere Fragen nicht und antworten gänzlich unerwartet auf nicht gestellte Fragen. Der Schwiegersohn vertröstet uns und meint, wir sollten Alexander Bojko fragen, der unweit von hier wohne, mit dem 87-jährigen Alexander deportiert worden sei, gemeinsam mit ihm aus Bobingen floh und über ein hervorragendes Gedächtnis verfüge.
So geben wir denn auf, Alexander weiterhin zu befragen. Aber eines sagt Alexander dann doch zum Abschluss, als ich ihm das Geld überreiche: „Danke dass ihr euch an mich erinnert. Danke dass ihr uns nicht vergessen habt, in Deutschland war ich in mindestens 10 verschiedenen Lagern, aber jetzt ist meine Zeit abgelaufen.“
Interview mit Olexandr Nadtotschij im Sommer 2007
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Drei Zwangsarbeiterinnen von links: Warara Altanez, geb. Timtschenko, Irina Roschtschina, die Dolmetscherin Lubov Sochka, Alexandra Bespatjia geb. Timtschenko
Deportation nach Deutschland
Alexandra wird am 9.August 1942, also genau vor 65 Jahren gemeinsam mit Irina Roschtschina, Maria Lawrenko und Iwan Sirenko nach Bobingen deportiert, und das im Alter von 16 Jahren. Wegen der Drohungen der hiesigen Polizei verschwendet Alexandra keinen Gedanken an Flucht, sie will die Geschwister und die Eltern nicht gefährden. Ihre Schwester Warwara war bereits drei Monate vor ihr nach Essen deportiert worden.
Arbeit in der Textilfabrik in Bobingen
Die Behörden fordern sie auf, für den Transport nach Deutschland die Lebensmittel selbst mitzubringen. Der Transport nach Deutschland dauert zwei Wochen, die Mädchen werden unterwegs zur Hopfenernte eingesetzt. In Bobingen muss sie mit Maria und Irina in einer Textilfabrik arbeiten. Sie erhält die Häftlingsnummer 293 und schläft mit 14-16 weiteren Mädchen aus Pawlowgrad in einem Raum. Alexandra erinnert sich an die Namen weiterer 7-8 Frauen aus Pawlowgrad, die ebenfalls nach Bobingen verbracht worden sind. Lubov Sochka von der ukrainischen Stiftung wird per Computer die Namen überprüfen und nach möglichen Überlebenden suchen. Das Lager war in Nationen unterteilt, Russen, Holländer, Franzosen usw. waren alle getrennt untergebracht.
Peinigung im Betrieb
Als Aufsicht waren kriegsversehrte deutsche Soldaten eingeteilt, die Mädchen hatten stetige Angst vor Schlägen, aber die männlichen Zwangsarbeiter wurden weitaus schlimmer bestraft. Nach der Befreiung verprügelten diese den Lageraufseher Kugelmann mit der Peitsche, aber Alexandra verspürte Mitleid mit ihm.
Diskriminierung in der Heimat wegen vermeintlicher Kollaboration
Wegen ihrer Deportation nach Deutschland wird Alexandra in der Ukraine noch lange diskriminiert. Sie gilt als Prostituierte, weil sie in Deutschland war, sie wird bei jeder Arbeitssuche abgewiesen und muss sich rechtfertigen. Lange Jahre bleibt ihr keine andere Arbeit als die auf der Kolchose, sie hat keine Ausbildung und zudem die schönsten Jahre ihrer Jugend verloren und ist sozial diskriminiert.
Als ihr Mann sie nach ihrer Heirat 1954 von der Kolchose loseisen will und ihr die Arbeit als Putzfrau in einer Schule besorgt, bekommt sie die Stelle nur, weil sie verschweigt, dass sie während des Krieges in Deutschland arbeiten musste.
Schuldgefühle
Ihre Tochter darf 1986 wegen ihrer Mutter nicht nach Afghanistan, und das 41 Jahre nach der Rückkehr von Alexandra in die Heimat! Alexandra Bespatjia hat deswegen heute noch Schuldgefühle gegenüber ihrer Tochter weil sie glaubt, sie habe das Leben ihrer Tochter negativ beeinflusst. Eine Rehabilitierung dieser Diskriminierung erfolgt erst unter Michael Gorbatschow.
Von links nach rechts: Warwara Altanez, die in Essen Zwangsarbeit verrichtete, Irina Roschtschina und Warwaras Schwester Alexandra Bespatjia geb. Timtschenko, die mit Frau Roschtschina und Maria Lawrenko geb. Pliuschtschina aus dem gleichen Ort in Bobingen bei IG Farben Zwangsarbeit verrichtete.
Liste mit Alexandra Timtschenko, Nr. 5 auf der Liste
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Besuch bei Maria
Als uns Frau Roschtschina zu ihrer Freundin Maria Lawrenko führt, donnert und blitzt es, der Strom in Pawlowgrad fällt aus, es ist dunkel in dem kleinen Häuschen, die rührige Frau Roschtschina sucht nach Kerzen. Marias Ehemann ist vor ganz kurzer Zeit verstorben, jetzt lebt sie ganz allein, sie trägt keine Schuhe, hat ganz wunde Beine und ihren psychischen und physischen Zustand kann man nur als erbarmungswürdig bezeichnen. Während unseres Besuches hört sie nicht auf zu weinen und schluchzen, ihr ganzes Leben war sie unglücklich, sie musste einen Schicksalsschlag nach dem anderen verkraften.
Gestellungsbefehl und Abtransport nach Deutschland
Als jüngstes Kind erhält sie 1942 den Gestellungsbefehl, um in Deutschland Zwangsarbeit zu leisten. Der Bruder ist zur Armee einberufen worden und fällt in Charkow gegen die deutschen Truppen. Die ältere Schwester bleibt bei den Eltern.
„Wir waren vor dem Krieg arm, wir blieben nach dem Krieg arm und sind es heute noch“, klagt Maria. Als ihr Bruder an der Front fällt, erleidet der Vater einen Herzinfarkt und stirbt gleichfalls, aus Kummer ist die Mutter stark abgemagert, bei Marias Rückkehr erkennt sie ihre Mutter kaum noch.
Hunger zieht sich wie ein roter Faden durch Marias Vita. Auch in Deutschland musste ich Hunger leiden: „Wir äßen madige Bohnen, und fast immer gab es diese Rüben, die scheußlich schmeckten“.
Das Lager in Bobingen
In Bobingen leben sie im Lager, das war mit Stacheldraht umzäumt, aber wohin hätten sie schon laufen sollen, sie wussten ja gar nicht richtig wo sie sich befanden. Den Weg zur Arbeit legten sie unter Bewachung zurück und überlebten nur, weil sie jung und kräftig gewesen seien, schildert Maria unter Tränen. In der Fabrik legten sie die Spulen mit Zangen in die Säure, die Haut war verätzt, da half auch die Arbeitskleidung nicht viel.
Heimweh
Die Erinnerung an Deutschland ist keinesfalls angenehm, sie hatte ständiges Heimweh, Briefe an die Eltern durfte sie nicht schreiben und von zuhause hörte sie auch nichts. Erst nach der Befreiung durch die Amerikaner schreibt sie nach Hause.
An den Namen des Lagerführers kann sie sich erinnern, an Herrn Kugelmann. Und daran, dass sie in drei Schichten arbeiteten.
Rückkehr in die Heimat
Nach ihrer Rückkehr in die Heimat arbeitet sie als Bohrerin in der Fabrik, sie verletzt sich mehrmals am Fuß. Als Arbeiterin in der Fabrik erhält sie 1947 eine Brotration von 500 Gramm, ihre Mutter erhält 250 Gramm, ihre arbeitslose Schwester erhält keine Brotkarten. Die Schwester stirbt in den 70-er Jahren.
Erbarmungswürdiges Schicksal
Maria Lawrenkos Leben war geprägt von Not und Elend und Schicksalsschlägen. Ihr jüngster Sohn ist bettlägerig und leidet unter den Folgen eines Gehirnschlags, auch der ältere Sohn ist unglücklich, aber immerhin besucht er sie regelmäßig nach dem Tod ihres Mannes im März dieses Jahres.
Leben in Armut
Sie hat keinen Appetit mehr, es fehlt ihr das Geld, um Arzneien zu kaufen, woher soll sie es denn nehmen, sie hat eine Rente von 200 Griwna, das sind gerade mal knappe 70 Euro, und die Arzneien kosten monatlich zwischen 70 und 80 Griwna. Ich händige Maria den symbolischen Geldbetrag aus, aber fühle mich hilflos, die Frau würde dringend permanente psychologische Betreuung benötigen, jemand müsste sich um sie kümmern, sie ist verzweifelt und depressiv. Daran kann auch eine vorübergehende Linderung ihrer finanziellen Probleme nichts ändern. Maria bedankt sich überschwänglich bei mir, aber ich bin skeptisch, ob ich ihr habe helfen können.
Maria Pliuschtschewa verh. Lawrenko ist die Nr. 2 in der Liste
Überreichung einer symbolischen Summe an Maria Lawrenko, geb. Pliuschtschewa.
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Bild : privat; ganz rechts: Nina Moskalenko
Besuch bei Nina
Nach einer 10-stündigen Nachtfahrt mit dem Zug – in der Ukraine wahrlich kein Vergnügen - kommen meine ukrainische Begleiterin Lubov Sochka und ich um 7.05 Uhr in Dnjepropetrowsk an, wo uns die Töchter von Frau Roschtschina bereits am Bahnhof in Empfang nehmen. Ihr Nachbar hat sich bereit erklärt, uns mit seinem Auto nach Pawlowgrad zu expedieren. Am Tag zuvor war es noch schwül und heiß gewesen, die Temperaturen hatten bis zu 34 Grad betragen. Ich bin froh, dass es über Nacht geregnet und abgekühlt hat.
Es geht an kilometerlangen Sonnenblumenfeldern vorbei, die früheren Kolchosen sind mittlerweile alle an Aktiengesellschaften oder Molkereibetriebe übergegangen, auch ausländische Firmen haben Grund und Boden erworben. Kein einziges Feld ist kleiner als 3-4 qkm.
In Pawlowgrad wurde nach den Abrüstungsverhandlungen mit den Amerikanern der sowjetische Raketentreibstoff deponiert. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wollten die Russen ihn nicht mehr übernehmen, so sitzt die Stadt Pawlowgrad buchstäblich auf einem Pulverfass.
Ninas Leben heute
Frau Nina Roschtschina ist eine stattliche, sehr rüstige und agile Frau Anfang der 80-er Jahre und wohnt im 4.Stock eines Blocks Marke sozialistischer Plattenbauweise. Wie bei allen Wohnsilos, die ich bisher besucht habe, ist auch dieser im Hausaufgang völlig verwahrlost. Seit Anfang der 90-er Jahre konnten die Wohnungen von den Bewohnern erstanden werden, es gibt auch eine Hausverwaltung, aber die unternimmt nur das nötigste. Es gibt kein Licht im Hausgang, die Wände sind verschmiert, die Farbe blättert von den Wänden, es ist sehr feucht, die Briefkästen sind aufgebogen, Namensschilder sind keine vorhanden, einen Aufzug gibt es auch nicht.
Hinter der mehrfach verriegelbaren Wohnungstüre kommt eine liebevoll renovierte Wohnung zum Vorschein. Die Qualität der Fenster, Fliesen und sanitären Anlagen sind schlichtweg inakzeptabel und so sehen die Häuserblocks aus den 90-er Jahren aus als seien sie aus der Vorkriegszeit.
Deportation nach Deutschland
Ninas Eltern wird 1942 von der einheimischen Polizei ein Gestellungsbefehl überbracht mit der Maßgabe, dass Nina sich mit Proviant am Bahnhof einzufinden habe. So wird sie am 9. August 1942 gemeinsam mit Maria Lawrenko, Alexandra Bespjata und Iwan Sirenko deportiert und kommt nach Bobingen. Die Fahrt nach Deutschland dauert etwa 14 Tage, Partisanen hatten Brücken gesprengt, immer wieder kommt es zu Gefechten. Nach ihrer medizinischen Untersuchung und Quarantäne an der deutsch-polnischen Grenze werden sie als beliebige „Verfügungsmasse“ bei der Hopfen- und Kartoffelernte eingesetzt.
Arbeit in Bobingen
Woran kann sich Nina noch erinnern? In Bobingen arbeitete sie in einer zweistöckigen Textilfabrik, wie die andern ukrainischen Mädchen hatte sie das Garn aufzuspulen und in die Säure zu legen, dann wieder herauszuholen und trocknen zu lassen.
Mit ihren Landsleuten war sie in einem ca. zwei Kilometer entfernten Lager untergebracht, gemeinsam mit Franzosen und Russen, aber in jeweils getrennten Baracken. Auch ganze Familien wohnten dort. Jeden Morgen marschierten sie dann unter Bewachung in die Fabrik. Nina schätzt, dass etwa 300 Zwangsarbeiter in der Textilfabrik arbeiten mussten. In den Schlafräumen gab es 2-stöckige Pritschen, die Bettwäsche war aber sauber, es gab Decken und Kissen, um die 50 Mädchen schliefen in einem Raum. Nach Feierabend sangen die Mädchen oder lasen, aber es wurde auch viel geweint, das Heimweh war sehr groß. Briefe an die Familien durften sie nicht schicken.
Für ihre Arbeit gab es Lagergeld, mit dem sie ein paar Lebensmittel kaufen konnten. Gemeinsam mit den anderen Mädchen besuchte sie am Sonntag die Kirche, aber alle Deutschen blickten sich nach ihnen um und sie schämten sich mit ihrem Ostarbeiter-Abzeichen, das sie zu tragen hatten.
Sie erinnert sich noch an den Aufseher Johann, der recht nachsichtig mit den jungen Mädchen gewesen sei. Gegen Ende des Krieges seien sie über den Zaun gestiegen und von der Polizei ertappt worden, aber sie wurden dafür nicht bestraft.
Diskriminierung nach ihrer Rückkehr in ihre Heimat
Nach ihrer Rückkehr in die Heimat kann Nina nicht mehr Fuß fassen. Ihr fehlen einige Klassen für den Schulabschluss, so wird sie Verkäuferin. Alle UkrainerInnen, ganz gleich ob sie nun deportiert wurden oder sich freiwillig für einen Arbeitseinsatz in Deutschland gemeldet hatten (dies traf nur auf sehr wenige Personen während er ersten vierzehn Tage der deutschen Besatzung in der Ukraine zu), galten als Verräter, die häufig nochmals in der Heimat schwerste Arbeit zu verrichten hatten. Der Weg in führende Positionen blieb ihnen weitestgehend versagt.
1948 heiratet Nina. Sie hat 3 Töchter, die älteste lebt in Argentinien, die beiden anderen kümmern sich rührend um ihre Mutter.
Irina Roschtschina bei meinem Besuch in Pawlowgrad 2007. Sie war Zwangsarbeiterin bei IG Farben in Bobingen. Ich überreichte ihr eine symbolische Summe.
Überreichung einer Dokumentation zur Erinnerungsstätte für Zwangsarbeiter in Gersthofen und einer symbolischen Summe an Frau Irina Roschtschina am 3. August 2007
Irina bzw. Nina Moskalenko steht in der Liste ganz oben
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Bild: Privatbesitz der Familie Gregori
Giorgio Gregori wird am 27 Juli 1920 in Casina geboren. Im Jahr 1938 erhält er das Diplom als Grundschullehrer und beginnt in der Schule in seinen geliebten Bergen zu lehren.
Gleichzeitig bereitet er sich privat für das Abschlussexamen für das Lehramt am Gymnasium vor. Dann besucht er die Universität in Bologna und absolviert erfolgreich das Studium in Altertumswissenschaften.
Während des II. Weltkriegs absolviert er seinen Wehrdienst bei der Luftwaffe in Turin. Dort wird er im September 1943 von den Deutschen gefangen genommen und nach Deutschland deportiert, wo er Zwangsarbeit in verschiedenen Firmen an verschiedenen Orten zu leisten hat. (Anhang unten)
Im August 1944 kommt er mit anderen Häftlingen vom Stalag Memmingen VIIB von Buchloe aus zu Fuß nach Gersthofen, wo er in Baracken ohne Betten untergebracht ist. Die Essensrationen sind unzureichend und schlecht, wie er in seinem Tagebuch vermerkt. Er muss mit den anderen IMIs Luftschutzunterstände bauen. Nach 4 Tagen müssen sich die IMIs einem Leistungstest unterziehen, um ihre Einsatzmöglichkeiten zu testen. Dank seiner Intelligenz und der Ergebnisse im Eignungstest kommt Giorgio in die Chlor-Natrium Abteilung. Jetzt wird er in einer Baracke mit Stockbetten untergebracht. Ganz in der Nähe hausen die russischen Kriegsgefangenen. Sonntags ist arbeitsfrei, die Zeit wird genutzt für Waschen, Nähen, Flicken, Briefe schreiben.
Am 17. September 44 bekommen die IMIs Besuch aus der italienischen Botschaft. Dank eines Vertrages mit dem nunmehr machtlosen Mussolini-Regime von St. Salo werden die IMIs in den Status von Zivilarbeitern übergeführt und unterstehen nicht mehr der Aufsicht der Wehrmacht. Ab sofort übernehmen örtliche Polizisten die Aufsicht über die Italiener. Giorgio erhält eine Lohnsteuerkarte und wird künftig infolge des Eignungstest als Betriebswerker in der Chlor-Natrium Abteilung eingesetzt.
50 Elektrolytmaschinen müssen überwacht werden und alle ihre Werte, z.B. das Mischungsverhältnis von Wasser und Lauge, müssen überprüft, das Chlor in der Hälfte und das Quecksilber in zwei Dritteln der Zellen analysiert werden. Ab sofort dürfen die italienischen Zivilarbeiter nach Arbeitsende auch das Lager verlassen. Bis 21 Uhr haben sie Ausgang.
Ab September 44 tauchen fast jeden Tag die Bomber am Himmel über Augsburg auf und säen in aufeinanderfolgenden Angriffen auf die militärische Ziele und die Industrieanlagen von Augsburg und Umgebung Tod und Verderben. An allen Fronten befinden sich die deutschen Armeen in der Defensive und die Nachrichten, die man zwischen Zeilen der offiziellen Mitteilungen herauslesen kann, lassen keinen Zweifel daran, dass sich die Wehrmacht auf Verteidigungslinien zurückzieht und die Alliierten im Westen und die Sowjets im Osten entsprechend vorrücken.
Anfang Oktober 44 haben die Alliierten die Reichsgrenzen erreicht und Aachen wird angegriffen. Das OKW reagiert darauf mit Angriffen der berüchtigten V-1 und V-2 Raketen auf belgische Städte, darunter Amsterdam. Der Treibstoff der Raketen, das Hydrazinhydrat wird in der Firma Transehe in Gersthofen hergestellt!
Am 4. November 44 wird die Baracke der Italiener mit Maschinengewehrsalven überzogen. Gregori ist der einzige der in der Baracke geblieben ist, er hat großes Glück, unverletzt dem Beschuss entkommen zu sein. Nach der Arbeit war er zu erschöpft, um die Warnrufe der Kollegen wahrzunehmen.
Zehn Tage später wird sein Kumpel, der Kalabrese Salvatore, von einem Polizisten verhaftet und abgeführt. Der Vorwurf lautet auf Beleidigung des Führers und des Duce.
Die unvermeidliche Niederlage der Deutschen wird auch in Gersthofen spürbar. Die Essensrationen werden immer kleiner, immer häufiger finden die Zwangsarbeiter in den Tellern Rüben, Karotten und Kohl in immer kleiner werdenden Mengen und immer schlechterer Qualität.
Nur am Sonntag gibt es eine Suppe, die einen dicken Grießbrei und einige gekochte Kartoffeln enthält. Das Brot wird immer schlechter. Jetzt besteht es fast nur noch aus einem Gemisch von Roggen und Weizen sowie Mehl, das aus Pappelmark gewonnen wird. Hunger und Kälte peinigen die Italiener, die Arbeit ist hart und bedrückend.
Auch die Arbeit ist mehr als beschwerlich. Drei bis vier Stunden pro Tag muss er die Gasmaske aufzusetzen, um sich in der heißfeuchten Umgebung vor den Chlorgasen und vor dem Kontakt mit dem krebsfördernden Quecksilber und der gefährlichen Schwefelsäure zu schützen. Ganz zu schweigen von der Abteilung, in der die Laugenfusion stattfindet. Diese ähnelt einer Grube aus Dantes „Inferno“. Dort arbeitet jetzt zur Strafe Salvatore der Kalabrier.
Als er aus Deutschland zurückkehrt, heiratet Giorgio die Grundschullehrerin Clotilde Grasselli, mit welcher er drei Kinder aufzieht: Ettore (verstarb 1997), Paolo und Anna. Er beginnt wieder, in der Hauptschule zu unterrichten, zuerst als Italienischlehrer, und dann, nachdem er in die Reggio Emilia gezogen ist, fungiert er als Direktor einer Mittelschule in der Provinz Reggio. Hier bleibt er, bis er 1985 in Pension geht.
Danach beginnt er seine Tätigkeit als Historiker und Forscher, mit Schwerpunkt der Erforschung des kulturellen und historischen Hintergrundes seiner Heimatstadt Casina. Dort verbringt auch er die letzten Jahre seines Lebens zu seinem Tod.
1991 erwirbt er das Diplom für Archivarbeit und Paleographie und hebt in Casina eine Abteilung für Lokalgeschichte aus der Taufe. Während dieser Periode schreibt er mehrere Bücher und ist auch beim Layout derselben beteiligt.
Unter anderem veröffentlicht er nach genauestem Studium und Korrektur sein Tagebuch "Due anni in terra straniera" (Zwei Jahre in fremdem Land) welches nicht nur seinen Lebensbericht als Italienischer Gefangener in einem fremden Land enthält, sondern auch seine Persönlichkeit und seine moralischen Qualitäten offenbart, die er selbst in den schlimmsten und kritischsten Situationen nie verloren hat.
Giorgio Gregori verstirbt nach langer Krankheit am 14 Mai 1998. Die Schule in Casina wird nach ihm benannt, um an ihn zu erinnern, ebenso finden eine Reihe von kulturellen Ereignissen und Konferenzen zur Erziehung in seinem Namen statt.
Die Zeit in Deutschland war sehr schwer für ihn, dennoch verspürt er niemals Hass gegenüber der deutschen Bevölkerung. Ganz im Gegenteil, er fuhr fort, die Sprache und das kulturelle Erbe der Deutschen zu studieren.
Stationen der Zwangsarbeit Gregoris in Deutschland:
Grunau bei Neuburg/Donau vom 21.9.43-20.2.44 AK 579B
Sonthofen/Allgäu: 21.2.44-4.8.44 AK 206B
Memmingen: 4.8. -22.8.44 Stalag VIIB
Gersthofen 24.8.44-8.4.45 AK 594B
Bobingen 9.8.45-24.4.45
Augsburg 25.4.-26.5.45
Günzburg 26.5. – 1.6.45
Rückreise nach Italien über den Brenner am 1.6.45
Quellen:
Giorgio Gregori, Due anni in terra straniera,1978
Interview mit Anna Gregori im November 2003
Auszug aus seinem Buch „Due anni in terra straniera“, übersetzt ins Deutsche von Gabriele Kirschner
Bobingen bei Schwabmünchen
Letzten Samstag machte sich Erminio auf den Weg, um nach Italien zu gelangen. Er verabschiedete sich von uns und wünschte und eine baldige Rückkehr in die Heimat. Wir werden auf die Amerikaner warten, die näher rücken. Endlich haben wir den neuen Standort erfahren: eine kleine Stadt circa 10 km südlich von Augsburg, Bobingen, wo sich eine J.G.-Fabrik zur Herstellung von Kunstseide befindet.
15 IMIs kommen von Gersthofen nach Bobingen
Heute Morgen haben wir gegen 9 Uhr endgültig Gersthofen verlassen. Ein herzlicher Gruß an Andrei Sergeivic, der zurückbleibt und an Pius, den deutschen Arbeiter mittleren Alters, der über einen Monat lang gemeinsam mit mir arbeitete. Die Franzosen sind seit einer Woche weg. Die Italiener vom Lager MAN, unter ihnen Antonio und Menenino, wurden nach Gablingen versetzt. Insgesamt sind es 15, die nach Bobingen gehen.
Beschuss aus MGs
Es ist ein kühler Tag und die circa 10 km lange Strecke ist nicht anstrengend. Wir haben Augsburg hinter uns gelassen und sind nun auf der Straße, die zur Ortschaft Schwabmünchen führt, am Straßenrand Schutt von Fabriken, die durch die heftigen Bombenangriffe von letzter Woche zerstört wurden. Wir gehen weiter im Gänsemarsch aus Angst vor plötzlichem Maschinengewehrbeschuss der Flugzeuge der Alliierten. Wir erreichen durch ein mittelalterliches Tor, das mit zwei niedrigen Türmen eingefasst ist, Bobingen. Wir sind umgeben von leuchtend grünen Feldern und auf der anderen Seite des Wasserlaufs, im Westen, kann man den Rand eines Fichtenwalds erkennen. Die Fabrik, bestehend aus einem hohen und einem niedrigen Gebäude und aus einigen Baracken, liegt abgelegen und man erreicht sie nur über eine kleine, abgezäunte Straße. Wir sind nur wenige und man bringt uns mühelos in einer modernen und sauberen Baracke unter.
Unterbringung in neuer Baracke
Es ist fünf Uhr Nachmittag, endlich kann ich mich im Lokal hinsetzen, das als Betriebskantine genutzt wird. Es ist ein großer Raum mit einer Holzvertäfelung bis fas zur Decke, an denen Bilder und Spiegel hängen.
Arbeit in der Spinnerei
Morgen beginne ich mit der Arbeit in der Abteilung, die man „Spinnerei“ (filanda) nennt, wo hingegen Elio ins „Lager“ eingeteilt wurde. Um 19 Uhr stellen wir uns in einer Reihe an und bedienen uns selbst, während wir an der Durchreiche entlang gehen. Die Arbeiter in der Fabrik sind in der Minderzahl. Auch her normalisiert sich langsam die Situation. Ein gutes Stück Griesschnitte mit Kirschmarmelade, zwei Scheiben Roggenbrot und ein Glas Bier: das ist ein beachtliches Abendessen. Der Ort erscheint gut!
12.4.1945 – Nadia
Ich sah Nadia zum ersten Mal am Montag, als ich gerade von Gersthofen kam. Sie kam gerade aus der Abteilung „Spinnerei“ heraus, zusammen mit russischen und polnischen Mädchen. Sie fiel mit auf wegen ihrer frechen Gangart, ihres hoch erhobenen Hauptes, die langen hellblonden Haare schüttelnd. Es war offensichtlich, dass sie sich bei uns bemerkbar machen wollte, als wir an der Türe des Anmeldebüros die „Spinnereiarbeiterinnen“ beim Herausgehen sahen. Ich traf auf sie am nächsten Tag in der Abteilung, der ich zugewiesen worden war, sie war sogar in der gleichen Arbeitsgruppe. Ich musste die Arbeit erlernen und mir wurde eine schon etwas ältere deutsche Arbeiterin als „Lehrmeistern“ zugewiesen. Ein paar Stunden waren ausreichen, um zu verstehen, was ich zu tun hatte…….
Entnommen aus: Giorgio Gregori, Due anni in terra straniera, Casina 1993
Dokumente aus dem Privatbesitz von Giorgio Gregori
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Aldo Moscatelli wurde am 5. Juni 1921 in Cantù (Como) geboren. Am 9. September 1943 wurde er von den deutschen Truppen in Mantua gefangengenommen. Es gehörte dem 133. Panzerartillerie-Regiment (Seriennummer 18083) an. Als Soldat besuchte er einen Kurs in Radiotelegraphie, der durch die Ereignisse des Krieges unterbrochen wurde. Er wurde im September 1943 nach Deutschland deportiert, und kam zuerst nach Memmingen ins Stalag VII B mit der Seriennummer 10407. Wie Giorgio Gregori arbeitete er in verschiedenen Ortschaften und Arbeitsstellen:
GRUNAU bei NEUBURG (23. September 1943 bis 21. Februar 1944)
SONTHOFEN (23. Februar 1944 bis 10. August 1944)
GERSTHOFEN bei AUGSBURG (20. August 1944 bis 8. April 1945)
BOBINGEN (9. bis 24. April 1945) bei IG Farbwerke Hoechst zur Herstellung von Kunstseide
Am 28. April 1945 in BOBINGEN wurde Aldo Moscatelli bei Ankunft amerikanischer Truppen freigelassen und wurden vorübergehend in der Hindenburg-Kaserne in Augsburg untergebracht. Am 2. Juni 1945 brachten ihn amerikanische Soldaten mit dem Bus von Augsburg nach Bozen/Italien zurück.
Nach dem Krieg wurde Aldo Moscatelli Sekretär der Ausstellung "Permanent Furniture" in Cantù. Er engagierte sich in katholischen Aktionen und politisch bei der Democrazia Italiana und wurde für diese Partei in den 1950er Jahren zum Stadtrat in Cantù gewählt.
2003 konnte ich Aldo Mocatelli in Como besuchen und ihm eine symbolische Summe für seinen Zwangsarbeiteraufenthalt in Gersthofen überbringen.
Bild: Privat. Aldo Moscatelli ganz rechts im Bild.
Dokumente: Privatbesitz Aldo Moscatelli